ORCHOMENOS   Boiotien  TeuNet  
   
     
     
   
   
 
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Ein kurzer Reiseführer


Anfahrt
Orchomenós liegt am nordwestlichen Rand der Kopais-Ebene. Anders als andere antike Plätze in Boiotien ist es leicht zu finden. Von der Straße Theben – Lamia zweigt man etwa auf der Höhe von Lebadeia rechts nach Orchomenós ab und folgt dann der Ausschilderung. Bald bohrt sich von links der Speer (Akontion) des Burgberges in flachem Winkel in die Kopaisebene. Unvermittelt finden wir uns vor der von Zypressen umstandenen byzantinischen Kirche und damit am Ausgangspunkt unserer Erkundung.

Etwas Geschichte
Orchomenós war seit dem Neolithikum (4. Jt.) ununterbrochen besiedelt. Sein Beiname, das minyische, führt auf den mythischen König Minyas zurück und unterscheidet es so bereits in der Antike von dem namensgleichen Ort in Arkadien. Nach Homer nahm es am Troianischen Krieg mit einem Kontingent von 30 Schiffen teil (Hom. Ilias 2, 511-516).

Ab der Mitte des 2. Jahrtausends beherrschte es die fruchtbare Kopais-Ebene und damit die westliche Hälfte Boiotiens. Zwei Voraussetzungen waren dafür entscheidend. Zuerst die einmalige strategische Lage am Eingang zur Kopais. Ein Blick vom Kastell auf dem Akontion in das Tal des Kephissos bis über die Kopais macht das ohne viele Worte am schnellsten klar. Noch wichtiger aber war die Regulierung dieses Flusses sowie die des in Orchmenós entspringenden Melas durch ein ausgeklügeltes Kanal- und Poldersystem. Mit dem Einfluß auf den Wasserstand des Sees konnte es Größe und Fruchtbarkeit der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche bestimmen. Ein Netz von Burgen rund um den See sicherte dieses hochkomplizierte System.

Wie der Mythos nahelegt, mußte sich Orchomenós aber gegen Ende der mykenischen Zeit (um 1100) und gleichzeitig mit dem Niedergang der Deichbauten der Vorherrschaft Thebens beugen. Die Gegnerschaft zwischen diesen beiden Städten zieht sich durch die ganze boiotische Geschichte.
364 v. Chr. wurde Orchomenós durch Theben völlig zerstört, die Überlebenden in die Sklaverei verkauft. Nach der Schlacht von Chaironeia (338 v. Chr.) wendete sich das Blatt. Die Makedonen führten die übriggebliebenen Einwohner in ihre Heimat zurück und mit Unterstützung Alexanders des Großen wurden Mauern und Gipfelkastell erneuert. Damit erlebte es in der hellenistischen Zeit eine Art Renaissance. Als allerdings der Reiseschriftsteller Pausanias den Ort im 2. Jh. n. Chr. besuchte war er schon lange bedeutunglos und verödet (Paus. VIII 33,2).

Was ist zu sehen?
Orchomenós überrascht den Besucher mit einmalig übersichtlich zusammenstehenden Überresten aus allen Epochen. Von diesen wetteifern je nach persönlichem Interesse des Besuchers drei Objekte um den ersten Rang: das Kuppelgrab als herausragender mykenischer Bau, die Klosterkirche als maßgebendes byzantinisches Bauwerk und die Befestigungsmauern mit Fluchtburg auf dem Akontion als mächtiges Beispiel hellenistischer Befestigungstechnik.

Sehenswert ist auch das Theater mit spätantiken Umbauten, das byzantinische Kirchlein des Ag. Zozontas, Reste des mykenischen Palastes und Tempelfundamente aus klassischer Zeit am unteren Burgberg (Asklepios-Tempel).


Archäologische Plätze von Orchomenos, © Christina Dieckhoff nach S. Lauffer
1. Mykenisches Kuppelgrab, sogen. "Schatzhaus des Minyas" 2. Klosterkirche und Kloster der Koímisis tis Theotókou oder Panagia Skripoús 4. Quelle Akidalia 5. Asklepios-Tempel 6. Gipfelkkastell 9. Mykenischer Palast 10. vermutetes Chariten-Heiligtum 11. Theater 13. Haghios Zozontas

Es ist reizvoll, den Besuch der im Ort gelegenen Sehenwürdigkeiten bei der ehemaligen Klosterkirche der Koimisis tis Theotókou (Mariä Himmelfahrt) zu beginnen. Hinreichender Grund dafür wäre schon, dass die 874 n. Chr. am Platz der Verehrung heidnischer Götter erbaute Kirche, eine tonnengewölbte Basilika mit Kreuzkuppel, und damit ein bedeutendes Beispiel für die Entwicklung der frühbyzantinischen Basilika zur reinen Kreuzkuppelkirche ist. Bemerkenswert ist aber auch die an der Außenarchitektur erkennbare Einstellung einer nun christlichen Zeit. In einem selten gesehenen Ausmaß sind antike Spolien aus fast allen Epochen verbaut worden. Unübersehbar die ornamental angeordneten Säulentrommeln aus einem abgetragenen Heiligtum (Chariten?), Inschriften, Steine mit Ornamenten, eine antike Sonnenuhr, vor allem auch Dreifußbasen, auf denen einst die Weihegaben der Sieger bei den Charitenfestspielen standen.


Austragungsort für diese war das nahegelegene Theater. Man hatte offenbar keine Scheu, die unnütz gewordenen Reste , den Kulturschutt einer vergangenen heidnischen Zeit, sinnvoll wieder zu verwenden. Skrupel darüber wären niemandem in den Sinn gekommen.


Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, am Fuße des Burgberges liegt das eindrucksvolle mykenische Kuppelgrab, von dem schon Pausanias schwärmte: "Das Schatzhaus des Minyas, ein Wunderbau, der keinem anderen in Griechenland selbst oder anderswo nachsteht, ..."(Paus. IX 38.3). Es hat einen Durchmesser von etwa 14 m und die gleiche Innenhöhe. Damit stimmt es verblüffend genau mit dem "Schatzhaus des Atreus" in Mykene überein. Im Gegensatz zu jenem sind allerdings nur noch acht Schichten der Ringsteine vollständig erhalten. Es beeindruckt aber mit dem gewaltigen tonnenschweren Türsturz über dem fast 6 m hohen Eingang.

Das wirklich Besondere aber ist die einzigartige Deckenplatte der Grabkammer, die mit Spiralmustern, Palm- oder Papyrusbüscheln und einem doppelten Rosettenfries geschmückt ist. Ein absolutes Muss für jede Besichtigung!

Den Burgberg des Akontion (siehe Tipps) nicht erstiegen zu haben, werden Sie sich nie verzeihen. Erst von seiner Höhe erschließt sich die strategische Lage von Orchomenós. Der Blick reicht über die Kopais-Ebene bis hin zum östlichen Beckenrand, über das Kephissos-Tal im Südwesten bis zur Frankenfestung von Lebadeia und im Nordwesten in das Gebiet von Chaironeia.

Das Plateau oberhalb von Kuppelgrab und Theater kann man mit dem Auto erreichen. Anschließend ist allerdings festes Schuhwerk Voraussetzung, wenn man nun an der bald erkennbaren Südmauer entlang zum Kastell hinaufwandert.

Je mehr man an Höhe gewinnt, um so mächtiger werden die erhaltenen hellenistischen Mauern. Im oberen Bereich verengt sich der Raum zwischen Süd- und Nordmauer und beide laufen zuletzt wie ein Trichter auf die Fluchtburg zu. Diese liegt auf einem fast würfelförmigen Felsklotz und ist nur über eine steile in den Fels gehaueneTreppe zu erreichen. Das erhaltene Mauerwerk ist gigantisch. Den Weg zurück sollte man entlang der Nordmauer nehmen. Im mittleren Abschnitt finden sich Spuren von Häuserfundamenten im anstehenden Fels und die antike Straße, die durch ein Mauertor in halber Höhe aus dem Burgbereich hinaus führt.

Direkt gegenüber der Kirche liegt auf der anderen Straßenseite das wahrscheinlich aus dem 4. Jhdt. v. Chr. stammende Theater, das bis in die spätrömische Zeit in Gebrauch war. Bei der Ausgrabung 1972 gefundene Dreifußbasen und Inschriften bezeugen für das ganze 3. vorchristliche Jahrhundert Gesangs- und Tanzwettbewerbe zu Ehren der Chariten.

Auf der Plateia von Skripou steht die sehr kleine Drei-Konchen-Kirche des Ag. Zozontas aus dem 11. Jahrhundert. Auch in ihr sind in großem Umfang antike Quadersteine verbaut, so dass man den schon erwähnten Umgang mit antikem Material auch hier besonders gut studieren kann.

In Orchomenós kamen bei Grabungen am Anfang des 20. Jahrhunderts reiche Keramikfunde zu Tage. Aus dem Frühhelladikum besticht die Formenvielfalt. Besonders ansprechend sind die schlauchförmigen Askoskannen. Die monochrome graue Ware aus dem Mittelhelladikum soll in Form und Oberflächenbeschaffenheit Silbergefäße nachahmen. Seit Schliemann wird dieser auch an anderen Orten gefundene Typ als grauminysche Keramik bezeichnet. Da die Funde in dem z.Zt. nicht zugänglichen Museum in Chaironeia lagern, muß man mit Beispielen im Thebener Museum Vorlieb nehmen.

Praktische Tipps:
Für den Aufstieg auf den Akontion eignet sich vorzugsweise der frühe Vormittag, ggf. auch der späte Nachmittag. Bei der Fülle der zu besichtigenden Plätze in Orchomenos, kommt irgendwann unweigerlich die Ermüdung oder die Mittagshitze. Entschließen Sie sich beidem zuvor zu kommen, und legen Sie eine Pause auf einer der beiden Plateias der Ortsteile Petromagoula oder Skripou ein. In den einfachen aber typischen Kafeneia werden Sie kaum Touristen finden.
Natürlich können Sie auch im Schattten der Melas-Quellen an der Nordseite des Akontion ein Picknick versuchen. Allerdings empfiehlt sich diese Variante nur, wenn sich dort nicht wieder Zivilisationmüll angehäuft hat und nicht gerade Jugendliche Ihnen mit ihren Mopeds stolz aber lärmend Hochstarter-Kunststücke vorführen wollen. Auch die Zypressen vor der Klosterkirche schützen vor Sonne.

© Peter Teuthorn
März 2002

 

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 © Peter Teuthorn - 2001   Seitenanfang