Antikes Boiotien - Ancient Boiotia
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Orchomenos


 

Die boiotischen Chariten

Wem die Chariten nicht zugeneigt sind, dem fehlt Charis, der hat keinen Charme.

Während die Musen die Künste und ihre Gattungen verkörpern, bringen die ihnen verwandten Chariten (lat. Grazien) den Menschen Frohsinn und Schönheit. Obwohl sie auch an vielen anderen Plätzen erwähnt werden und es bereits in der Antike vielfältige und verwirrende Aussagen zu ihnen gibt, haben sie zu Orchomenós einen ganz besonderen Bezug. Denn sie gehören zu den ältesten Gottheiten, deren Verehrung hier bereits auf den König Eteokles zurückgeht.

Ihnen war das älteste der Heiligtümer geweiht, und zu ihren Ehren fanden im Theater von Orchomenós musische Agone statt. Man betete sie als die Töchter des Zeus und der Eurynome (nach Hesiod) mit den Namen Euphrosyne (die Freude), Aglaia (die Schönheit) und Thalia (das Glück) zuerst in Form unbehauener, "vom Himmel gefallener Steine" an.
Die späteren Steinskulpturen, die Pausanias sah, stellten die drei Göttinnen nackt dar und waren - wie Pausanias berichtet [1] - erst zu seiner Zeit angefertigt und aufgestellt worden.

Walter F. Otto [2] meint, die 14. Olympische Ode Pindars für den Sieg des Orchomeniers Asopichos sei "das schönste Zeugnis ihres Wesens und ihrer Gaben":

"Ihr sangesberühmten Königinnen des reichen
Orchomenós, ... hört, da ich bete.
Denn mit euch erfüllt sich das Freudige
und Süße alles den Menschen, [...]
Feiern doch auch die Götter ohne die hochheiligen
Chariten ihre Reigen und Festmähler nicht, [...]"

Während man lange glaubte, das Heiligtum der Chariten befinde sich unter der Klosterkirche von Skripoú, ist sich der griechische Archäologe Spyropoulos sicher, dieses bei Grabungen zwischen 1972 und 1973 südlich der Kirche und unmittelbar östlich des Theaters lokalisiert zu haben. Die Fundamente des nun als gesichert anzunehmenden Charitentempels konnten wegen moderner Überbauung nicht freiglegt werden (RE Supplement Bd. XIV (1974) Sp. 316.). "Vielleicht stammen die zahlreichen, besonders an der Westseite der Kirche in 2 Reihen übereinander verbauten antiken Säulentrommeln (...) vom Charitentempel." (ebd. Sp. 322).

Die Charitesia genannten musischen Agone wurden zu ihren Ehren (nach Spyropoulos) im Theater mit musischen Wettbewerben verantaltet. Aus einer Serie von Dreifußbasen und den dort erhaltenen Widmungen können wir auf jeden Fall umfangreiche Festspiele im 3. Jahrhunderts v. Chr. ableiten [3]. Vom Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. sind uns noch Siegerlisten überliefert. (RE III.2 (1899) Sp. 2153, 2167.)


Literatur-Tip: Walter F. Otto: Theophania S. 72-75.

 

(Peter Teuthorn)
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1) Paus. IX 35.1, 35.5, 36.1, 38.1.
2) Otto, Walter F.:Theophania, der Geist der altgriechischen Religion, Hamburg1956, S. 73.
3) Armandy, Pierre / Spyropoulos, Theodoros: Monuments Chorégiques d `Orchomène de Béotie, in BCH 98 (1974) S. 171-242.

   
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